Xxi. §. 11. Kreuzzüge Wider die Ketzer.
417
unruhigen Gewissens, insonderheit aus dem demüthigen Forschen in
der heiligen Schrift sich immer lauter und allgemeiner solche Stim-
men erhoben, welche die ganze bestehende Kirche für besteckt, für wi-
derchristlich erklärten und mit Verwerfung aller gewohnten Formen
des Gottesdienstes und der kirchlichen Gemeinschaft sich in kleineren
Kreisen ihre eignen Gottesdienste, auch wobl ihre eignen Lehren zu-
recht machten. Sie thaten das nach dem Maße ihrer Erkenntniß, und
da die unter den verschiedenen Gegnern der herrschenden Kirche sehr
verschieden war, so wichen auch die Forderungen, Lehren und gottes-
dienstlichen Gebräuche der Einzelnen bedeutend von einander ab. Schon
von Alters her hatte es innerhalb der abendländischen Kirche viel
fromme Gemüther, viel erleuchtete Männer gegeben, welche freimüthi-
ges Zeugniß abgaben gegen die Verderbniß der Geistlichkeit, gegen
die Verwerflichkeit einzelner kirchlicher Lehrbeftimmungen, gegen die
falsche Richtung und Verweltlichung des ganzen kirchlichen Systems.
Aber eine weitere Ausbreitung solcher gegenkirchlichen Behauptungen,
die Bildung besonderer Gemeinschaften, die sich geradezu von der kirch-
lichen Praxis lossagten, trat doch eigentlich erst seit dem zwölften Jahr-
hundert hervor. Da war man durch die Kreuzzüge und den ander-
weitigen regen Verkehr mit dem Morgenland bekannter geworden, mit
den aus alter Zeit noch in den griechischen Ländern vorhandenen
Irrlehren; das neue, kühne, hochfliegende Wesen dieser muthigen und
ausdauernden Feinde der bestehenden Kirche erwarb ihnen besonders
in Italien und im südlichen Frankreich und am Rhein entlang eine
unerwartete Theilnahme. Katharer, Reine, nannten sie sich, und
im Allgemeinen können selbst ihre Feinde ihnen das Zeugniß nicht
versagen, daß ihr Wandel reiner und heiliger gewesen, als er durch-
schnittlich innerhalb der Kirche zu finden war. Aber ihre Lehren
waren zum Theil ganz ungeheuerlich und widersinnig. Man fand
Leute unter ihnen, die zwei Götter glaubten, einen guten und einen
bösen, oder die Welt für ungcschaffen und ewig, oder das ganze
Weltall für Gott erklärten, oder die sich selbst dem Sohne Gottes
gleichftellten oder im alleinigen Besitz des heiligen Geistes zu sein
Vorgaben. Daß Päpste und Bischöfe, Priester und Mönche gegen
solche heillose Jrrthümer zu Felde zogen, war ja recht und gut, wenn
sie es nur mit dem Wort der Wahrheit und dem Schwert des Gei-
stes gethan hätten. Aber schlimmer wurde es, als zu Papst Jnno-
.cenz Iii. Zeiten eine neue Secte sich ausbreitete, die Waldenser,
die ganz und allein sich auf das Wort Gottes stützten, und nur das
wollten als recht und wahr gelten lassen, was in der heiligen Schrift
v. Rohden, Leitfaden. 27
TM Hauptwörter (50): [T27: [Kirche Luther Lehre Kloster Jahr Bischof Schrift Papst Reformation Wittenberg], T45: [Zeit Mensch Leben Kunst Sprache Wissenschaft Natur Wort Geist Lehrer], T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand]]
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Xxiv. §. 1. Jesuiten und Inquisition.
523
von geistlichen Uebungen, als Fasten, Gebete, Betrachtungen, Selbst-
prüfungen, Entschlüsse, Gelübde, die zu bestimmter Zeit und nach fest-
stehender Regel mit einander wechselten. Zum zweiten aber in der
feindlichen Welt. Und da wollte der tapfere Kriegsmann zuerst nach
Weise der alten Kreuzfahrer im gelobten Lande gegen die Türken
den Kampf beginnen. Er reiste wirklich nach Jerusalem, und gewann
später, da er auf der Universität zu Paris seine theologischen Studien
machte, eine kleine Schaar Gefährten für denselben Zweck. Da sie
aber (1537) nach Venedig kamen, um ihre Wallfahrt nach Jerusalem
zu beginnen, fanden sie bald, daß das für jetzt unmöglich und auch
unnütz sei. So entschlossen sie sich denn, als eine Compagnie Jesu ihre
Dienste dem Papst anzubieten, zu unweigerlicher und uneigennütziger
Ausführung aller seiner Befehle, in jedes Land wollten sie gehen,
zu Türken, Heiden und Ketzern, wohin er sie senden werde. Der Papst
nahm keinen Anstand, diese eifrige und thatkräftige Verbindung zu be-
stätigen (1540). Er sah auf der Stelle, welchen Nutzen er von ihr
werde ziehen können. Einen solchen Orden hatte es noch nie gegeben.
Wie weit lag die stille Beschaulichkeit der alten Einsiedler und Klöster-
mönche, wie weit die gemüthliche Volkspredigt der Bettelmönche von
den Tendenzen dieser kriegerischen Ordensbrüder fern. Schnell hatte
ihr geistlicher Eifer, ihre beredte Predigt, ihr geschickter Unterricht,
ihre Selbstverleugnung in der Krankenpflege, zahlreiche Anhänger her-
beigezogen. Da ließ sich Ignaz förmlich zum Hauptmann, vielmehr
zum General der ganzen Verbindung ernennen. Ihm war Alles zu
militärischem, pünktlichem, unbedingtem Gehorsam verpflichtet. Klöster
zu errichten, erschien als unwesentlich, Klostertrachten und Klosteran-
dachten waren von keiner Wichtigkeit — die Hauptsache war: zu Felde
liegen gegen die Feinde des Papstthums, beständig in Bewegung, in
jeder Stadt, in allen Ländern, wohin auch immer der Dienst sie rufen
mochte, welche Forderungen auch an sie gestellt wurden. Vor Allem
erfüllten sie Spanien, ihr Heimathland, von Portugal aus zogen sie
schaarenweise nach den portugiesischen Besitzungen in der Heidenwelt,
nach Brasilien, nach Ostindien, nach China und Japan. Man fand
sie in Aethiopien, wie man sie in Deutschland und Frankreich fand,
wir werden ihnen in Schweden und Polen begegnen. Zur Heranbil-
dung neuer Ordensglieder (Professen) wurden hier und da Collegien
gegründet. Geistliche Coadjutoren oder Scholastiker leiteten die Un-
terweisung der Novizen, weltliche Coadjutoren sorgten für die äußeren
Angelegenheiten der Gesellschaft und ihrer Häuser. Jedes Talent wurde
brauchbar gemacht, jede eigenthümliche Begabung durste sich frei und
ungehindert entwickeln, aber alle wurden in strengster Unterwürfigkeit
unter die Befehle der Oberen nur auf das eine Ziel hingerichtet, wur-
den sorgfältig eingeübt mit allen Mitteln, guten und bösen, die eine
große Sache zu erstreben: Befestigung und Ausbreitung des Katholi«
cismus, Ausrottung aller Ketzer.
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Extrahierte Personennamen: Ignaz
Extrahierte Ortsnamen: Jerusalem Paris Venedig Jerusalem Spanien Portugal Brasilien Ostindien China Japan Deutschland Frankreich Schweden Polen
Xxiv. §. 11. Das Ende der Gegenreformationen rc. 357
Bevölkerung in Deutschland ist bis heute ziemlich derselbe geblieben.
Hier und da sind Protestanten auögewiesen worden, z. B. aus Salz-
burg, aus Tirol; die eine oder andere Fürstenfamilie hat ihre Con-
fession verändert, wie z. B. die sächsische, ohne daß dadurch wesent-
liche Veränderungen herbeigeführt wären. Man gewöhnte sich trotz
der verschiedenen Bekenntnisse und Gebräuche, friedlich mit einander
zu leben. Katholiken und Lutheraner hatten das auch schon
früher gekonnt, viel schwerer wurde es den Lutheranern und den Re -
sormirten. Mit fanatischer Heftigkeit ist von lutherischen Theolo-
gen gegen Calvinisten und Kryptocalvinisten gestritten worden. Von
ihnen wurde alles Gewicht ausschließlich auf die Lehre gelegt und
dagegen die Pflege des Gemeindelebens und der einzelnen Seelen,
die Uebung in der Heiligung versäumt. Wie hart und kalt und todt
waren da so viele lutherische Gemeinden sammt ihren Hirten gewor-
den! Doch waren auch die innig warmen, lauteren, gottinnigen Män-
ner unter ihnen nicht ausgestorben. Unerschöpflich sind die Schätze
der Erbauung, die man in den Schriften findet eines Joh. Arnd
(1-1621), Heinrich Möller (1-1673), Christ. Scriver (1-1629).
Welch eine Tiefe, Klarheit und Erwecklichkeit in den Lehrbüchern eines
Joh. Gerhard. Und welch edle Frucht haben die Leiden des
dreißigjährigen Krieges gezeitigt in den theuren Liederdichtern unserer
Kirche, Paul Gerhard, Paul Flemming, Rist, Rinkard,
Neumark, Herrmann, Rodigast u. a. m. Bei alledem be-
durfte die lutherische Kirche auch na ch dem dreißigjährigen Kriege noch
gar sehr einer neuen Ansassung, und sie wurde ihr durch das ge-
segnete Wirken Spener's und Franke's reichlich zu Theil.
Was sagte nun aber der Papst, was sagten die katholischen Eife-
rer zu diesem Umschwung der Dinge, zu dem westphälischen Frieden?
Sie haben ihn nie anerkannt. Eben derselbe Papst Urban Viii.
(1623 bis 1644), der zur Erhebung Frankreichs gegen den Kaiser, zur
Herbeiziehung der Schweden das Meiste beigetragen hatte, erklärte spä-
ter, als die Erfolge der schwedischen Waffen dem Katholicismus Gefahr
brachten, daß den Protestanten Nichts zugestanden werden dürfe, was
den katholischen Interessen zum Nachtheil gereiche, das Restitutionsedict
müsse ausgeführt, die verjagten evangelischen Fürsten dürften nicht
. wieder eingesetzt, es dürfe mit ihnen gar kein Friede geschloffen werden.
So erklärten sich auch seine Nachfolger. Wäre es auf die Päpste an-
gekommen, so wäre aus dem 30jährigen ein 300jähriger Krieg gewor-
den. Gegen den Abschluß des westphälischen Friedens haben die Päpste
förmlich protestirt. Aber wie die Dinge lagen, war der Friede eine
Nothwendigkeit geworden, man konnte sich um den Einspruch des
Papstes nicht mehr kümmern. So geschah es, daß die Päpste sich
gänzlich außerhalb des lebendigen Verlaufs der Dinge stellten, und ein
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Extrahierte Ortsnamen: Deutschland Frankreichs Schweden
618 Xxv. §. 9. Deutsche Philosophie und Poesie zur Zeit der Knechtschaft.
zu haben — aber was war die'frucht? Jener schale, nackte Ratio-
nalismus, den wir die ganze erste Hälfte dieses Jahrhunderts auf
den Kanzeln, in den Schulen, in den Familien, in den Wirths-
häusern vortragen hörten und noch hören; besten Stichwort ist: glaube
was du willst, nur thue was du mußt; der sich damit tröstet: ich habe
ehrbar gelebt und inan kann mir kein Laster und kein Verbrechen nach-
sagen , darum kann ich ruhig sterben. Es hat lange gedauert, ehe der
Kern des deutschen Volks alles seines Glaubenslebens, seines Glau-
bensbedürfnisses hat beraubt werden können, ehe die kalte seichte Ver-
standesaufklärung mit Beseitigung aller himmlischen Regungen bis in
die letzten Schichten der Bevölkerung eingedrungen ist — aber zuletzt
haben es die eifrigen (berufenen und unberufenen) Prediger und Leh-
rer doch fertig gebracht. Wohl mußte es ihnen schwer werden. Nicht
bloß das eigne Herzensbedürfniß, sondern die geheiligte Ueberlieferung
von dem Vater und Großvater her, die gewohnten altkirchlichen For-
men des Gottesdienstes, die auswendig gelernten Gebete und Lieder,
vor Allem die Hausschätze, die alten Postillen und Gebetbücher und die
gesegneten unverwelklichen Lieder unserer evangelischen Kirche standen
wie eben so viele Pfeiler dem Angrist des seichten rationalistischen Ge-
wäsches entgegen. Sie mußten also abgetragen und umgestürzt wer-
den. Und ohne Säumen ging man an's Werk. Die altgeheiligten,
erbaulichen Formen des lutherischen Gottesdienstes wurden ihrer Würde
und Feierlichkeit entkleidet, die alten Gebete, Bekenntnisse und Formu-
lare weggelassen oder mit den elendesten Moralsätzen vertauscht. Die
biblischen Vorlesungen wurden entweder ganz eingestellt, oder sie dien-
ten nur dazu, den Leuten zu sagen, daß Alles, was in der Bibel stehe,
ganz anders verstanden werden müsse. Die Gesangbücher wurden auf
heillose Weise verhunzt, die Melodiken elendiglich zertreten und dem
Volke die Singlust allmälig ganz verleidet. Am schwersten konnte
-man mit den alten „Tröstern" fertig werden. Da hat sich doch, Gott
sei Dank, noch in manchen Häusern an diesen alten Predigten und Ge-
beten längst dahin gegangener Gottesmänner manch armes verschmach-
tendes Herz erquicken, manche heilsbegierige Seele sich trösten, manch
stilles Gemüth ein mit Christo verborgenes Leben in Gott führen ler-
nen. Aber — das waren Oasen in der Wüste. Was sonst noch von
Glauben da war, das hielt sich in den Grenzen eines zuversichtlichen
Vertrauens auf die Barmherzigkeit Gottes.
Selbst die tonangebenden Führer des Volks, welche gern das Ihrige dazu
gethan hätten, um ihre deutschen Mitbürger aus der allgemeinen Erstarrung
und Leerheit und Abstumpfung gegen alle höheren Jnteresien herauszureißen
— sie führten sie doch niemals auf den einigen wahren Lebens-und Lichtes-
quell hin, ohne den alles Leben nur erkünstelt und alles Licht nur leerer
Schein ist. Schleiermacher, der in späteren Jahren manchen
Zweiflern ein Wegweiser zum Glauben geworden ist, schrieb gegen Ende
des vorigen Jahrhunderts seine Monologen und seine Reden über die
Religion. Aber bei allem Schwung der Sprache, bei allem Feuer der
Rede, bei aller Kraft des sittlichen Gedankens, bei aller Begeisterung
für heilige und himmlische Dinge fehlt doch der Kern und Mittelpunkt
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628 Xxv. §. 10. Deutschlands sittliche und politische Wiedergeburt.
brütete das Vorgefühl des Untergangs aller bisherigen Herrlichkeit.
Was sollen wir die Einzelheiten der ungeheuren Völkerschlacht näher
beschreiben? Das verwegene Vordringen unserer Preußen, das zähe
Standhalten der Russen, das besonnene Eingreifen der Oestreicher,
die mehrmals wieder aufflammende Siegeszuversicht Napoleon's,
dann seine erneueten Unterhandlungen, endlich seinen verzweifelten Be-
fehl zum Rückzug und die schreckliche Niederlage deö ganzen französi-
schen Heeres? Das alles wird ja in unzähligen Schilderungen der
deutschen Jugend noch immer tvieder zu lesen gegeben, und sie hört
es noch oft wiederholen aus dem Munde der Vater und Großväter,
die selber dabei waren. Aber hinführen wollen wir sie doch auf die
leichenbesäeten Schlachtfelder und ihr die klaffenden Wunden zeigen
und die grausigen Verstümmelungen der deutschen Helden, hinanrufen
wollen wir sie zu den die langen schaurigen Octobernächte hindurch in
Schmerzens- und Todesqual auf der feuchten Erde sich wälzenden
Verwundeten, denen jetzt keine Hülfe, keine Pflege gebracht werden
konnte; hineinbringen wollen wir sie in die 30 schaudervollen Lazarethe,
die in Eile nach der Schlacht in und um Leipzig errichtet wurden,
und wo an 30,000 edle deutsche Jünglinge und Väter unter den
Messern der Chirurgen, unter den Qualen eines verzehrenden Nerven-
fiebers ihr Leben oder doch ihre Gesundheit für immer verloren, und
wollen sagen: siehe diese zerschmetterten Helden, die niedergestreckten
Kämpfer um eine heilige Sache dir an — bist du so vieles Blutes,
so vieler Schmerzen, Mühen und Opfer werth?--------------------
Nach der Leipziger Schlacht konnten sich die Franzosen nicht länger
diesseitsdeö Rheines halten. Jenseits des Rheines fing aber nach der dama-
ligen Geographie schon Frankreich an, und es war einen Augenblick die
Frage, ob die Verbündeten den Feind auch in sein eignes Land hinein
verfolgen sollten. Daß Preußen wollte, daran konnte man nicht zwei-
feln. Auch Oestreich wollte. Aber auch Rußland? Dem russischen
Kaiser schien immer ein starkes Frankreich mit weiten Grenzen zur
Aufrechthaltung der europäischen Weltverhältniffe nothwendig. Da
war es nun große Gnade von Gott, daß er das Herz des geschlagenen
Napoleon immer mehr verstockte, also, daß er auf keine Unterhand-
lungen, auf keine Friedenöerbietungen mit Ernst und Aufrichtigkeit ein-
ging, sonst hätte es leicht geschehen können, daß das linke Ufer des
alten Vater Rhein noch bis heute in französischen Händen wäre.
So aber schritt Blücher mit dem Jahresschluß bei Caub über den
Rhein und befreite die deutschen Rh ein lande aus der zwanzig-
jährigen französischen Knechtschaft. Und Blücher war es auch, der
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Extrahierte Personennamen: Oestreich Gott Napoleon Ernst
Extrahierte Ortsnamen: Deutschlands Schmerzens- Leipzig Frankreich Frankreich Vater_Rhein Rhein
Xxv. §. 8. Napoleon und die Päpste.
607
Landschaften des Papstes in Italien wurden ihm von dem übermüthigen
Herrscher vorenthalten, und in Frankreich verfuhr er trotz Concordar
und aller Versprechungen nun vollends, als ob kein Papst und keine
Kirche in der Welt wäre. Er richtete die Schulen wieder ein, die
in der Revolutionszeit gänzlich verfallen und aufgelöst waren, aber er
machte sie zu rein politischen, man könnte sagen, zu rein militärischen
Anstalten, in denen die Kinder zwar zu wohlgeschulten Staatsbürgern,
zu wohlvorbereiteten Kriegsleuten herangebildet wurden, aber fern
blieben nicht bloß von aller geistlichen, sondern von jeder höher» gei-
stigen Bildung und Anregung überhaupt. Von Wissenschaft, außer so
weit sie zum Kriegswesen gehört, von Kunst und tieferem Studium,
war eigentlich gar nicht die Rede. Das Christenthum ward als Ne-
bensache verachtet, der Kirche, von der doch früher alle Schulen aus-
gegangen waren, ward gar kein Einfluß mehr gestattet, die Jugend
ward absichtlich angeleitet, sich um die Kirche so wenig als möglich zu
bekümmern. Ein Katechismus ward eingeführt, worin gelehrt wurde,
Napoleon als rechtinäßigen Kaiser verehren, das sei der rechte Got-
tesdienst. Weiter. Die Kirche verlangte die Wiederherstellung der
Klöster, der Orden. Napoleon wies das weit von sich. Was
sollten ihm Mönche? Die konnte er ja nicht zu Soldaten machen. Die
Kirche verlangte ihren alten Einfluß wieder in den Gerichten, in der
Gesetzgebung. Napoleon ließ ein neues Gesetzbuch anfertigen,
welches noch immer als die Summe gesetzgeberischer Weisheit gepriesen
wird. Aber von Gott, von Christenthum, von Kirche weiß das na-
poleonische Gesetzbuch so gut wie gar nichts, die Christenheit ist für
dasselbe eigentlich gar nicht da, sondern nur ein Haufe von Staatsbür-
gern, die regiert werden sollen; aus dem Boden einer völligen Unkirch-
lichkeit, ja Religionslosigkeit ist es hervorgewachsen, alle heiligen Be-
ziehungen liegen ihm fern, die heilige Ordnung der Ehe, welche von
den Katholiken als Sacrament verehrt wird, faßt es als einen gemein-
bürgerlichen Vertrag, der vor obrigkeitlichen Personen abgeschlossen wird.
Der Papst hoffte bei alle dem noch immer das Beste. Er
meinte, durch persönliche Vorstellungen, durch freundliche Bitten und
Belehrungen ließe sich bei Napoleon etwas erreichen. Wie wenig
kannte er diesen Menschen ohne Herz, ohne Gemüth, ohne Gefühl, ohne
Gewissen, bei dem nie etwas Anderes als der kalte, lauernde, berech-
nende Verstand in Thätigkeit war, und der hinter aller seiner Schau-
spielerei, hinter allen süßen Locktönen schmeichlerischer Verheißungen
doch immer nur den einen Abgott, das nackte, kahle Selbst zu ehren
und zu heben gemeint war. Durch die gleißnerischen Versprechungen
des Gewalthabers, durch seine eignen gutmüthigen Hoffnungen, für das
Wohl der Kirche etwas wirken zu können, ließ sich Pius Vii. (1804)
verleiten, selber nach Paris zu reisen, um den neu eingesetzten Kaiser
feierlichst zu krönen und zu salben. Aber wie bitter sah er sich ge-
täuscht. Welche schmerzliche Demüthigungen mußte er von diesem rück-
sichtslosen Anmaßer hinnehmen. Die persönlichen Kränkungen hätte
er wohl noch gern ertragen, aber daß er zum Wohl der Kirche nichts,
auch gar nichts erreichen konnte, auch in diesem Augenblick nicht, da er
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleon Napoleon Napoleon Gott Napoleon
608
Xxv. §. 8. Napoleon und die Päpste.
doch dem Kaiser zu Gefallen die Reise von Rom nach Paris gemacht
hatte — das war schwer zu ertragen. Jetzt sah er auch wohl, worauf
der arglistige Mensch es eigentlich angelegt hatte. Er hatte den Papst
nach Paris gelockt, um ihn dort zu behalten, um ihn als seinen Un-
terthan zu behandeln und durch ihn die ganze katholische Christenheit
in allen Ländern zu beherrschen. Wie die französtschen Könige wäh-
rend des päpstlichen Erils ztl Avignon (1305 —1378) sich der Päpste
als ihrer gehorsamen Unterlhanen bedienten, um besonders Deutschland,
aber auch die übrige Christenheit unter den französtschen Willen zu
beugen, ist früher erzählt worden (S. 441 ff.). Dasselbe, nur noch mit viel
rücksichtsloserer Anmaßung, hatte Napoleon im Sinn. Den Papst
wollte er zum gefügigen Werkzeug seiner maßlosen Herrschsucht machen.
Er wollte ihn gleich in Paris behalten. Glücklicherweise hatte der
Papst sich vorgesehen, und für den Fall, daß man ihn in Frankreich
zurückbehalten würde, bereits eine Urkunde unterzeichnet, daß er seine
Würde niederlege. So ließ zwar Napoleon für den Augenblick sei-
nen Plan fallen, aber er gab ihn darum nicht auf. Etliche Jahre
später, nachdem er den Papst seines Kirchenstaates beraubt, aus Rom
verjagt, aller seiner weltlichen Gerechtsame entkleidet, körperlich miß-
handelt, als Gefangenen umhergeschleppt, jede Niederträchtigkeit an ihm
begangen hatte, da hatte er den schwachen Greis endlich so weit ge-
bracht, daß er sich unter den Willen des Mächtigen beugen, in Frank-
reich seinen Sitz nehmen und sich nach den Weisungen des Kaisers
halten wollte. Aber eben da hatte die Erlösungsglocke für die Welt,
die Todtenglocke für den Despoten bereits angehoben zu schlagen (1813)
und der arglistige Plan kam nicht zur Ausführung. Der römische
Papst konnte noch einmal in seine frühere Stellung zurücktreten. Aber
verkennen wir nur nicht — so tief auch unsere sittliche Entrüstung über
diese wie über jede andere Schändlichkeit des Napoleon sein mag—,
daß auch Rom und die Papstmacht in jener Zeit der allgemeinen Zer-
störung nur litt, was ihre Thaten werth waren, und daß, was damals
nur halb und vorübergehend geschah, nach dem unfehlbaren Wort der
Weissagung künftig vollständig bis zur gänzlichen Vernichtung Rom's
und des Papstthums geschehen wird, und zwar nicht etwa durch den
protestantischen, Rom widerwärtigen, Theil der Christenheit, sondern
durch die katholischen Mächte selbst, welche dem Unglauben verfallen,
und aus deren Mitte sich der Antichrist erheben wird (Offb. 16. 17.
18). Der Gedanke drängt sich wie von selber aus, daß was vor 40
und 50 Jahren durch Napoleon geschehen ist, nur Vorspiel und
Einleitung war zu jener großen Umwälzung, die nach dem Wort der
Weissagung noch bevorsteht. Denn das, was Napoleon begonnen,
wird ja noch heute eifrig fortgeführt. Die beiden ungeheuren, die
ganze Welt umstürzenden Lügen werden eben jetzt mit neuem Schein
umkleidet und in vergrößertem Maßstabe der gesammten Welt als un-
umstößliche Wahrheit dargeboren. Die eine Lüge, daß der Mensch
durch sich selbst, ohne Gott und Christus, glücklich und selig sei, wie
damals die Revolutionsmänner, heute noch die sreikirchlichen Lä-
sterer zu behaupten wagen, und die andere Lüge, daß alle obrigkeitliche
TM Hauptwörter (50): [T37: [Gott Mensch Herr Herz Leben Wort Welt Himmel Tag Hand], T42: [Papst Kaiser König Rom Heinrich Italien Karl Kirche Bischof Jahr], T10: [Volk König Mann Leben Zeit Land Mensch Krieg Feind Vaterland]]
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Extrahierte Personennamen: Napoleon Napoleon Napoleon Napoleon Napoleon Napoleon Christus
Extrahierte Ortsnamen: Rom Paris Paris Avignon Deutschland Paris Frankreich Rom Frank- Rom Rom
(-J48 Xxv. §. 11. Die neuere Philosophie des Unglaubens.
Evangelien vvn ihr geschrieben steht. Welch eine ungeheure Wirkung
diese neue (schon vom Wolfenbüttler Fragmentisten gemachte) Ent-
deckung auf die Massen, auf den gebildeten und ungebildeten Pöbel ge-
habt hat, ist kaum zu berechnen. Daß Strauß in einem folgenden
Buche auch die ganze christliche Glaubenslehre für eine Zusammen-
häufung des tollsten Unstnns erklärte, hatte nicht so viel zu sagen, denn
mit der Lehre beschäftigten sich immer nur wenige, und meist nur
wissenschaftlich gebildete Männer, welche die Schleichwege und Kniffe
der Strauß'scheu Beweisführungen leicht entdecken und zurückweisen
konnten. Aber daß die alte heilige Geschichte, daß die Person des
Heilandes bei Seite geschafft werden könnte, das war eine hoch will-
kommene, von allen Ungläubigen, vvn der ganzen religionslosen und
fleischeslustigcn Masse mit Jubel begrüßte Erfindung und in Hunderten
von Schriften, die für den gemeinen Mann ganz sonderlich zugeschnitten
und mundrecht gemacht waren, ward sie als Morgenröthe eines neuen
Tages der Gewissens- und Fleischesfreiheit angepriesen und ausgeboten.
Nicht bloß das Christenthum und alle geoffenbarte Religion ward
als Betrug, als beabsichtigte Erfindung Einzelner dargestellt, sondern
Alles, was irgend für religiöse Empfindung, religiöse Begeisterung sich
ausgiebt, ward als Selbsttäuschung, als Selbstvergötterung verspottet,
ja als Ursache aller Dummheit, Verderbtheit und Gottlosigkeit, als
Ursache alles innern und äußern Elends gebrandmarkt.
Natürlich wo alle Religion abgethan ist, da kann auch die Sittlichkeit
nicht bestehen. Und das war auch gerade die Absicht der „Hegelinge" und
der Männer des „jungen Deutschlands", die Sittlichkeit völlig zu ver-
nichten, das Fleisch mit aller seiner Lust und Brunst und Gier zu
entfesseln (emancipiren), die Ehe aufzuheben, das Weib für freies Ei-
genthum eines Jeden, die Unzucht für rechtmäßig und löblich zu erklä-
ren. Schandmenschen, wie Börne und Heine mit ihrem ganzen
getauften und ungetansten Schweif von Zeitungsschreibern und Ro-
mandichtern und Novellisten, machten sich ein Geschäft daraus, solch
teuflisches Gift tropfenweise und fluthenweise durch alle Kreise des
Volkslebens auszugießen, und es gab Hochschulen der Gottesleugnung
und der Fleischesfreiheit, wo die jungen Handwerker und Kausteute
förmlich abgerichtet wurden, alles Heilige, Alles, was von Gewissens-
scheu und alten frommen Erinnerungen noch in ihnen war, förmlich
mit Füßen zu treten und Gott zu verfluchen. — Sofort versuchte man
die neue Weisheit aus dem engern Kreise der Wissenden unter den
freien Hiinmel zu verpflanzen und zur öffentlichen Gemeindesache zu
machen. Prediger traten auf, welche das kirchliche Bekenntniß für
Unsinn erklärten, „freie Gemeinden" wurden gebildet (seit 1842),
die statt der Kirchen Wirthshäuser, statt der Geistlichen Sprecher, statt
der Bibel Zeitungsblätter, statt der Gesänge Freiheitslieder, statt der
Predigten Vorträge über die Fortschritte der aufgeklärten Menschheit,
statt des Abendmahls Festessen mit Fleisch und starken Getränken zu
ihrer Erbauung benutzten. Auch auf katholischer Seite fand eine
ähnliche Bewegung Statt. Die Ausstellung des sogenannten heiligen
Rockes zu Trier (1844) gab dem eitlen und unwissenden Caplan
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Vi
Vorwort.
des Verfassers, eben so wenig die Beibringung der gewöhn-
lichen antiquarischen und geographischen Notizen. Dem Schüler
wird sie der Lehrer mündlich mittheilen, und der Gebildete
kennt sie bereits aus anderen Quellen. Hier sollte nur über-
sichtlich der Gang der Begebenheiten, wie er auf Ein großes
Ziel hindrängt, in Erinnerung gebracht und nur die großen
Wendepunkte des Völkerlebens in eingehenderer Schilderung
vorgesührt werden. Von den vielen einzelnen Kriegszügen
der Alten und von den unzähligen kleinen politischen und
militärischen Verwickelungen der Neuzeit, die sich ohnehin dem
Gedächtniß immer wieder entziehen, ist wenig ausgenommen;
aber desto mehr aus der Kirchen- und Sittengeschichte, wie auch
aus der Literaturgeschichte. Jeder Paragraph sollte ein möglichst
in sich zusammenhängendes und abgeschlossenes Einzelbild aus
der Geschichte geben, und zwar in der neuern Zeit meist ein
Doppelbild, indem den zuerst in's Auge fallenden politischen
Ereignissen die weitere Schilderung des gesammten Zeitcharakters
nachfolgt. In der alten und Mittlern Geschichte konnten
die Paragraphen kürzer sein. Sie bestehen immer aus zwei Thei-
len, so daß der erste oder Haupttheil das Wichtigste und Bedeut-
samste aus deni vorgeführten Zeitabschnitt in einem großen Rah-
men zusammenfaßt, und der zweite Theil noch besondere Einzel-
heiten nachbringt, die zur Beleuchtung, Beschränkung oder Erwei-
terung des Vorhergehenden dienen sollen. Beim Schulgebrauch
wird diese Form die Einrichtung eines doppelten Cursus er-
leichtern. Daß auf gewissenhaftes Nachlesen der angezoge-
nen Bibelstellen, noch vielmehr auf eine schon vorhandene gründ-
liche Kenntniß der biblischen Geschichten und des Gotteswortes
überhaupt gerechnet wird, bedarf kaum einer besondern Erwäh-
nung. Die angchängte Regententafel wird zur leichtern Orien-
tirung beim Gebrauch des Buches erwünscht sein.
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TM Hauptwörter (200): [T183: [Kind Lehrer Schüler Unterricht Schule Frage Stoff Aufgabe Zeit Geschichte], T136: [Leben Mensch Geist Natur Zeit Volk Welt Kunst Sinn Wesen], T29: [Geschichte Geographie Nr. Erdkunde Lesebuch Bild Iii allgemein Lehrbuch deutsch], T91: [Geschichte Krieg Zeit Zeitalter Mittelalter Revolution Reformation deutsch Jahrhundert Ende]]
l. Die Urgeschichte.
§. 1. Erschaffung der Welt.
Motto: „Der Herr ist das A und das O, der Erste und der
Letzte."
„Die drei Grundpfeiler aller Geschichte stnd-.
Erschaffung der Welt aus Nichts. ^
Abstammung der Menschen von Einem Paar.
Sündenfall und allgemeines Verderben."
Wie die heilige Schrift die älteste und einzig sichere Quelle für
die Erkenntniß der Rathschlüsse Gottes und des Heilsweges ist, fo
ist sie auch die älteste und einzig sichere Quelle für den Anfang aller
Geschichte. Die ersten Seiten der Bibel enthalten eine Reihe von
Thalsachen und Aufschlüssen, welche in keinem andern Buche der
ganzen Welt zu finden sind. Denn sie reichen in eine Zeit zurück,
wo noch kein menschliches Auge Zeuge war der majestätischen All-
machtsthaten Gottes, durch welche unsere Welt und unser menschliches
Geschlecht ihren Anfang nahmen. Wie Gott der Herr den Hiob
fragt: wo wärest du da ich die Erde gründete, sage mir's, bist du
so klug? so gehet dieselbe Frage an alle Weisen unter allen Völkern,
und keiner ist, der zu bestehen vermöchte in der weiter folgenden
Prüfung: weißt du wer ihr das Maß'gesetzet, oder wer über sie
eine Richtschnur gezogen, da die Morgensterne mit einander lodeten
und jauchzten alle Kinder Gottes? Viel haben sie sich abgemüht
die Weisen dieser Welt, und mühen sich ab' bis auf den heutigen
Tag, die Antwort zu finden, aber sie werden alle kläglich zu Schan-
den mit ihrer Weisheit. Nur wer die heilige Schrift kennt, und wer
Glauben hat an das Wort Gottes, der weiß die Antwort. Denn,
wie der Apostel sagt (Ebr. 11, 3), aus dem Glauben merken wir,
daß die Welt durch Gottes Wort fertig ist, daß Alles, was man liehet,
aus nichts geworden ist. Wie sollte es auch anders sein? Was kein
menschlicher Zeuge uns zu berichten im Stande ist, das können wir
v. Rohden, Leitfaden. 1
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